Diese Frage stellt Ulrich Jungbluth aus der KIKT Akademie e.V. in Köln oft den Kindern in seinen Therapien.
Ja klar, kommt die Antwort. Wenn man dann nachfragt, was denn? Dann wird PC, Konsole und Handy aufgezählt, vielleicht mal noch LEGO. Gesellschaftsspiele mit Familie, Eltern und Freunden kommt fast nicht mehr. Ulrich Jungbluth fragt sich dann immer: Ist das gespielt oder ist das Ablenkung von Langeweile und fehlender eigener Fantasie? Er hört, Gesellschaftsspiele seien langweilig und da sei zu wenig Action drin. Der Atmosphäre des Miteinanders und der Präsenz wird keine Wichtigkeit beigemessen. Eltern sind oft hilflos, hier etwas dagegen zu setzen.
Aus diesem Gedanken hat Ulrich Jungbluth Frau Dr. Ritter drei Fragen gestellt. Dr. Barbara Ritter ist Fachpsychologin für Neuropsychologie. Sie arbeitet im Zentrum für Kinderneurologie, Entwicklung und Rehabilitation (KER-Zentrum) am Ostschweizer Kinderspital St. Gallen. Bei der KIKT Tagung in Lindau wird Frau Dr. Ritter am Donnerstag einen Vortrag halten (23.05.2024, 09:00 Uhr Dr. Barbara Ritter „Heute schon gespielt? – Förderung kognitiver Funktionen mit Gesellschaftsspielen.“).
Hier die Fragen an Frau Dr. Ritter. Viel Spaß beim Lesen! Ihr Oliver Schwermer
1.Wie sehen Sie das Spiel bei Kindern und Jugendlichen heute? Was ist gut? Was fehlt?
„Ich mache die Erfahrung, dass Kinder und Jugendliche – und auch ihre Eltern – nach wie vor sehr gerne spielen und sich schnell begeistern lassen. „Möchtest du ein Rechenblatt zum Thema Addition lösen oder mit mir Lobo 77 spielen?“ Selten ist die Antwort erstere. Dabei üben beide Ansätze genau das gleiche, letzteres aber verpackt in ein spannendes Spiel. Das ist der Super-Mario-Effekt: Menschen pröbeln doppelt so lange an einer Aufgabe, wenn diese ein Spiel ist, als wenn sie einfach eine Aufgabe darstellt. Heutzutage aber ist die Ablenkung durch andere Medien groß, und oft fehlt zwischen vollgepackten Tagesplänen mit Schule, Hausaufgaben, Freizeitkursen und wegen sonstiger Verpflichtungen die Zeit zum Spielen, auch bei den Eltern. Wenn die Handys dann aber mal aus dem Weg geschafft, Netflix weggeklickt und das Tagesprogramm von unnötigen Punkten bereinigt ist, so lassen sich plötzlich gute Spielgelegenheiten finden. Gemeinsame Zeit ist das Zauberwort, davon brauchen wir bewusst mehr. Oftmals hilft es, wenn die Spiele direkt auf dem Tisch stehen statt im Schrank oder verbindliche „Familienzeiten“ bestehen. Spielen ist eine Kultur – pflegt man sie nicht, findet sie im überfrachteten Alltag keinen Platz.“
2.Was können Gesellschaftsspiele, was elektronische Medien nicht können? Warum sind sie ein Muss sowohl in der kindlichen Entwicklung als auch im Jugend- und Erwachsenenalter?
„Bei Gesellschaftsspielen im analogen Format, also beim gemeinsamen Spielen in physischer Anwesenheit, sind alle Sinne aktiv. Auge, Ohren, Hände, Nase bekommen simultan Input. Regeln müssen beachtet, Entscheidung gefällt und situationsadäquat muss gehandelt werden. Emotionen entstehen, soziale Signale müssen interpretiert, die Körpersprache der Mitspielenden analysiert werden. Spielen aktiviert das ganze Gehirn. In allen Hirnregionen flitzen elektrische Impulse hin und her, die Synapsen haben Hochbetrieb. So genommen ist Spielen eine sehr komplexe Tätigkeit – und genau darin liegt das große Förderpotenzial, nicht nur in kognitiver Hinsicht. Beim gemeinsamen Spielen ist man unweigerlich in Beziehung, bekommt Feedback, spürt sich selbst und das Gegenüber, reguliert Anspannung und Entspannung, entwickelt Kreativität und Ideen, trainiert Frustrationstoleranz, Geduld und Regelbeachtung – alles Fertigkeiten, von denen wir Erwachsene uns wünschen, dass Kinder sie entwickeln, weil diese zentral dafür sind, sich im Erwachsenenleben zurecht zu finden. Spielen ist die beste Vorbereitung auf Herausforderungen der Zukunft. Kinder, die viel spielen, finden schneller Lösungen für Probleme, weil sie das „Herumpröbeln“ gewohnt sind und Alternativen austesten. Das heißt nicht, dass elektronische Medien grundsätzlich schlecht sind. Nur fehlen dort oft kritische Elemente, beispielsweise das Ansprechen aller Sinneskanäle und der soziale Austausch.“
3.Was muss sich in unserem Alltag in Kindergärten, Schule und Freizeit verändern, um im Sinne Schillers wieder „…nur da ganz Mensch ist, wo er spielt“ zu sein
„Im Moment tut sich einiges, und viele Institutionen haben den Wert des Spielens erkannt bzw. schätzen diesen weiterhin als sehr wertvoll ein. Der Wert des Spiels, nicht nur des Gesellschaftsspiels, sondern auch von Sing-, Tanz-, Klatsch-, Motorik-/Sportspielen, des Rollenspiels und des freien Spiels, wird wieder entdeckt. Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, dass digital zwar viel möglich ist, aber der Mensch sich im Analogen immer noch am wohlsten fühlt und am besten entfalten kann. In vielen Schulen steht Spielen darum auf der Tagesordnung. Das Einmaleins wird in ein Hüpfspiel verwandelt, anstatt in ein Arbeitsblatt. Es werden Spiele-AGs gegründet und Spielecken eingerichtet. Der Unterricht wird in die Turnhalle oder in den Wald verlegt, wo mehr Bewegung und Raumerfahrung möglich ist. Unsere Gesellschaft sollte allen mehr Raum zum Spielen bieten und Spielräume als wichtige Lernumgebungen anerkennen, nicht nur in Schulen, auch beispielsweise in Seniorenheimen und Reha-Kliniken. Weniger Bildschirme, mehr Würfel. Weniger Beton, mehr Baumstämme. Weniger Handy, mehr Kartenhalter. Vielleicht ist es so, wie der amerikanische Essayist Oliver Wendel Holmes (1809 – 1984) sagte: «Menschen hören nicht auf zu spielen, weil sie alt werden, sie werden alt, weil sie aufhören zu spielen!“
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